Der IKEA-Effekt - Bremse oder Chance?
Menschen schätzen den Wert selbst entwickelter Produkte, Prozesse und Ideen übermäßig hoch ein, unabhängig von deren objektiver Qualität. Dieses psychologische Phänomen wurde vom Wirtschaftswissenschaftler Michael Norton IKEA-Effekt genannt.
Für Führungskräfte ist der IKEA-Effekt besonders bedeutsam, denn er erschwert Veränderungsprozesse. Mitarbeiter halten an selbst entwickelten Arbeitsweisen fest, auch wenn es objektiv bessere Verfahren gibt.
Psychologische Grundlagen
Der IKEA-Effekt basiert auf vier wichtigen psychologischen Mechanismen.
- Arbeitsinvestition: Je mehr Zeit und persönlicher Aufwand in etwas fließt, desto wertvoller erscheint es.
- Identitätsverknüpfung: Selbst entwickelte Prozesse sind Teil der beruflichen Identität. Kritik daran wird als persönlicher Angriff auf die beteiligten Mitarbeiter und ihre Kompetenzen empfunden.
- Kompetenzerleben: Eigene Lösungen stärken das Selbstwertgefühl und die Relevanz der eigenen Arbeit.
- Kontrollbedürfnis: Selbst entwickelte Verfahren geben Sicherheit.
Auswirkungen im Unternehmen
Der IKEA-Effekt kann zur Innovationsbremse werden, wenn Mitarbeiter bestehende Prozesse als so wertvoll einschätzen, dass sie sie gegen jeglichen „Eingriff“ von außen und auch gegen objektiv bessere Methoden verteidigen. Wenn sich Teams gegen Standardisierungen wehren, entsteht leicht eine Abgrenzungsmentalität. Fusionskonflikte kommen auf, wenn bei Zusammenlegungen z. B. verschiedener Abteilungen unterschiedliche Prozesswelten aufeinandertreffen – und jede an ihren Methoden festhält.
Das Change-Hindernis
Im Change-Management, also bei strukturellen oder technischen Veränderungen im Unternehmen, führt der IKEA-Effekt beispielsweise zu einer verzerrten Wahrnehmung, indem die Vorteile des selbst entwickelten Verfahrens überschätzt und seine Nachteile heruntergespielt werden. Da der Widerstand eher emotionaler Natur ist, prallen Sachargumente oft ab. Damit verstärkt der IKEA-Effekt die Beharrungstendenz innerhalb von Teams. Überzeugte Anhänger alter Prozesse beeinflussen andere negativ. Zudem wird die bereits investierte Mühe in Form von Zeit, Entwicklungsleistung oder Geld zum eigenständigen Argument gegen ein neues Verfahren.
Anregungen zum Umgang mit dem IKEA-Effekt
- Wo gibt es selbst entwickelte Prozesse mit emotionaler Bindung?
- Wer hat diese Prozesse kreiert, wer sind die stärksten Befürworter?
- Wo liegen objektiv die Stärken und Schwächen dieser Prozesse?
- Wie hoch ist die emotionale Bindung daran im Team?
- Wo liegen die Probleme der bisherigen Prozesse?
- Gibt es übertragbare Elemente der bestehenden Prozesse?
- Die bisherige Leistung und ihre Träger sollten ausdrücklich gewürdigt werden.
- Die Entwickler des bisherigen Verfahrens sollten früh eingebunden werden.
- Von der Veränderung Betroffene sollten den neuen Prozess mitgestalten.
- Können Verbindungen zwischen alten und neuen Prozessen hergestellt werden?
- Es muss ausreichend Raum für konstruktive Kritik geben.
- Stark betroffene Mitarbeiter sollten Prozess-Patenschaften übernehmen.
- Regelmäßige Feedback-Runden stärken die Identifikation und das Team.
- Die Führungskraft sollte die Anpassungsleistung öffentlich loben.
- Gemeinsam erreichte Verbesserungen werden z. B. im Intranet dokumentiert.
- Es werden neue Identifikationsmöglichkeiten angeboten.
Widerstand ins Konstruktive umdeuten
Der IKEA-Effekt kann Change-Prozesse erheblich behindern. Die übergroße Wertschätzung für selbst entwickelte Prozesse ist jedoch keine bloße Sturheit, sondern entsteht aus dem Bedürfnis nach Selbstwirksamkeit und beruflicher Identität.
Führungskräfte sollten diese emotionalen Bindungen anerkennen und sie respektvoll und konstruktiv umdeuten. Entscheidend ist, die emotionale Investition in bisherige Prozesse zu würdigen und gleichzeitig neue Identifikationsmöglichkeiten zu schaffen. Wird Wertschätzung für Bestehendes mit Mitgestaltung des Neuen verbunden, kann der IKEA-Effekt vom Hindernis zum Treiber für erfolgreichen Wandel werden.