Ohne Arbeit kein Lohn? Manchmal schon!

Pünktlichkeit ist nicht nur eine Tugend, sondern wird von Arbeitgebern auch erwartet. Allerdings gelingt es Arbeitnehmern nicht immer, pünktlich die Arbeit aufzunehmen. Welche Auswirkungen haben Verhinderungen auf die Entlohnung?

Immer wieder stellt sich die Frage, ob Arbeitnehmer im Fall einer unverschuldeten Verspätung Anspruch auf ihre Vergütung haben. Klärungsbedürftig ist auch der umgekehrte Fall. Welche Auswirkungen hat es auf den Vergütungsanspruch der Beschäftigten, wenn diese pünktlich ihre Arbeit aufnehmen wollen, dies jedoch aus betrieblichen Gründen nicht möglich ist, z. B. wegen eines Stromausfalls im Betrieb, wegen Hochwassers oder anderer Umstände, auf die die Mitarbeiter selbst keinen Einfluss haben?

Pech für sie, weil der Arbeitgeber nur die tatsächlich geleistete Arbeit vergüten muss, so könnte man denken. Aber ganz so einfach ist es nicht. In der betrieblichen Praxis muss nämlich unterschieden werden zwischen dem sog. Wegerisiko der Arbeitnehmer und dem Betriebsrisiko des Arbeitgebers.

Was gilt beim Wegerisiko?

Grundsätzlich ist es Sache des Arbeitnehmers, wie er zu seiner Arbeitsstelle gelangt. Jeder Beschäftigte trägt das Wegerisiko und muss alles in seinen Möglichkeiten Stehende unternehmen, um pünktlich an seinem Arbeitsplatz zu erscheinen. Voraussehbare Hindernisse wie Stau in der Rush-Hour oder verspätete Züge muss er zumindest in einem gewissen Rahmen einkalkulieren. Arbeitgeber müssen deshalb die wegen einer Verspätung ausgefallene Arbeit nicht vergüten, sofern im Tarifvertrag oder in Betriebsvereinbarungen keine Ausnahmen geregelt sind.

Und wie verhält es sich beim Betriebsrisiko?

Anders als das Wegerisiko fällt das Betriebsrisiko in die Sphäre des Arbeitgebers. Er ist dafür verantwortlich, den Beschäftigen Arbeit anzubieten, wenn sie am Arbeitsplatz erschienen sind. Wenn das aus betrieblichen Gründen nicht möglich ist, z. B. wegen eines Internet- oder Stromausfalls im Betrieb oder wegen Hochwassers, muss der Arbeitgeber dennoch die vereinbarte Vergütung zahlen. Dabei ist unerheblich, ob das Hindernis durch Fremdeinwirkung bzw. Sabotage entstanden ist oder durch höhere Gewalt in Form von Naturkatastrophen.

Ausgenommen sind nur solche Fälle, in denen eine Vergütungszahlung die wirtschaftliche Integrität des Unternehmens massiv gefährden würde. Diese Ausnahme bezieht sich jedoch auf das Unternehmen als Ganzes, nicht auf einen einzelnen Betrieb. Der Ausfall eines einzelnen Standortes eines größeren Unternehmens rechtfertigt es deshalb nicht, die Vergütungszahlung der Belegschaft des betroffenen Standortes einzustellen.

Zum Betriebsrisiko des Arbeitgebers zählt:

  • Stromausfall aufgrund einer Störung im Elektrizitätswerk,
  • Maschinenschaden, auch wenn von einem Mitarbeiter verursacht,
  • Mangel an Betriebsstoffen oder Rohstoffen,
  • Probleme in Weiterverarbeitung oder Abtransport, durch die der Betrieb am Standort möglich, aber wirtschaftlich unsinnig wäre,
  • höhere Gewalt, wie Erdbeben, Überschwemmung, Schneefall, Brand, Unfälle oder extreme Witterungsverhältnisse,
  • behördliche Anordnungen wie z. B.: Maßnahmen der Bankenaufsicht, Sicherheitsmaßnahmen am Flughafen, Auftrittsverbot für eine Musikkapelle wegen Staatstrauer, Betriebsschließungen, Untersagung der Produktion

Etwas anderes hat das BAG allerdings im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie entschieden, als auf behördliche Anordnungen hin flächendeckend Betriebe unterschiedlichster Branchen stillgelegt wurden. Nachdem zuvor zahlreiche Arbeitsgerichte anders entschieden hatten, vertritt das BAG die Ansicht, dass ein Arbeitgeber das Risiko eines Lockdowns zum Schutz der Bevölkerung nicht zu tragen hat, da es sich um einen massiven hoheitlichen Eingriff handelt (BAG, Urteil vom 13. Oktober 2021 – 5 AZR 211/21). Nur Betriebe, die zur Verbreitung des Virus beigetragen haben, beispielsweise wegen unzureichender Schutzmaßnahmen, müssen nach Ansicht des Gerichts auch das betriebliche Risiko der Vergütungszahlung tragen.